Das letzte Indogermanisch Das Indogermanische ist die längst ausgestorbene und nur erschlossene Sprache, die den vielen Zweigen der jetzt größten Sprachfamilie des Erdballs zugrundeliegt und durch deren Vergleichung in wesentlichen Zügen rekonstruiert werden konnte. Diese Sprachen reichten im Altertum nicht nur, wie der gewählte Name sagen soll, vom Indischen bis zum Germanischen, sondern sowohl im Osten wie im Westen noch darüber hinaus, und heute ist kein Erdteil von ihnen frei. Wir kennen einige von ihnen schon im 2. Jahrtausend vor Christus - das Indische, Hethitische (in Kleinasien) und Griechische -. Sie waren schon damals weit vom Grundstock abgetrennt und hatten auch schon eine starke eigene Entwicklung hinter sich. Die Grundsprache, die wir hauptsächlich mit ihrer Hilfe erschließen können, muß in der mittleren und vor allem jüngeren Steinzeit gesprochen worden sein, da jedoch, trotz der Weiträumigkeit der primitiven Kulturen und der großen Beweglichkeit ihrer zumeist noch nicht seßhaften Menschen, gewiß noch auf einem viel engeren Raum, der sich aber ständig erweitert haben wird. Da die westlichen Indogermanengruppen offenkundig noch lange zusammenblieben, als sich im Osten die ersten großen Gruppen schon abgetrennt hatten, kann das Indogermanische kaum in einem einzigen Zuge in seine vielen Teile auseinandergebrochen sein. Es wird daher, als sich die genannten östlichen Gruppen - und gewiß noch weitere - schon abgespalten hatten, noch ein Indogermanisch gegeben haben, das noch nicht den Charakter einer abgesprengten Tochtersprache hatte, ein Spät- oder Restindogermanisch, das zugleich wohl ein Westindogermanisch war. Es geht mir hier darum, ob es gelingt, diesem letzten Indogermanisch näherzukommen und etwas darüber auszumachen, wo und bis wann es gesprochen wurde, und auf welcher Entwicklungsstufe es gestanden haben mag, und wie es beschaffen war. Da die uns mehr oder weniger bekannten westindogermanischen Gruppen der Frühzeit - Kelten und Germanen, die beiden italischen Gruppen, Illyrer und Veneter - nach den herrschenden Lehren anfangs in den Ländern nördlich und nordöstlich der Alpen saßen und kein Grund zu bestehen scheint, dies in Zweifel zu ziehn, so liegt es am nächsten, dort auch die Heimat des Spätindogermanischen zu suchen, aus dem ihre Sprachen hervorgegangen sind. Im Westen dieses Raumes haben meine Untersuchungen nun in Orts- und auch Personennamen, wie in Wörtern, die ins Frühgermanische eingegangen sind, Überreste eines Indogermanischen zutage gebracht, die wir keiner der Nachfolgesprachen zuweisen können, die aber dennoch mancherlei Verwandtschaft mit den meisten von ihnen — wie auch den baltischen Sprachen im Osten — erkennen lassen. Als ihr Kerngebiet ergab sich der "Nordwestblock", die Landschaften im Südwesten von Unterweser und Aller und im Süden nach Thüringen und Hessen hinein und weiter bis zu Taunus und Eifel und etwa an Oise und Somme. Diese Landschaften haben, so ist meine These, zu den Heimatländern des letzten Indogermanischen gehört, ihr Südwestteil aber, so scheint es, nur sehr eingeschränkt. Die Namenforschung hielt es bis vor wenigen Jahrzehnten kaum für möglich, mit ihrem Stoffe in den Ländern nördlich der Alpen vor die dort bezeugten indogermanischen Gruppen zurückzukommen. Sie machte auch nur selten den Versuch und rechnete im allgemeinen nur mit solchen Völkerverschiebungen, die in den wenigen Quellenwerken, die uns zur Verfügung stehn, behauptet oder erwähnt sind. Da diese Quellen nun ein Vordringen der Germanen gegen die Kelten in Westen und Südwesten bezeugen, so hielt sie weithin eine Unterschicht keltischer Namen unter den germanischen für möglich oder auch sicher, kam aber kaum darauf, in den einst keltischen Ländern mit einer nichtkeltischen Substratschicht zu rechnen. So ergab es sich fast selbstverständlich, daß z. B. der Name Weser, da er auch aus den alten keltischen Ländern bekannt ist, dem Keltischen zugesprochen und daraus dann gefolgert wurde, daß die Kelten einmal bis mindestens an die Weser gesessen hatten. Die Wendung kam hier erst, seit etwa 1950, mit den Arbeiten Hans Krahes, die eine einheitliche Flußnamenschicht, die "Alteuropäische Hydronomie", zutage brachten, welche über weite Teile Europas reicht, und zwar, wie er als sicher nahm, indogermanisch ist, sich aber über viel weitere Gebiete erstreckt, als es in der Frühzeit ein einzelner Zweig der indogermanischen Sprachen getan haben kann. Da nun auf der anderen Seite die Länder der früh abgetrennten ostindogermanischen Gruppen, das Griechische eingeschlossen, so gut wie keinen Anteil an diesen Namengruppen haben, so schloß Krahe, daß die westlichen Indogermanen, als diese Hydronomie entstand, trotz der Weite des Raums, den diese überdeckt, noch eine Einheit waren oder wenigstens noch stark zusammenhingen (sieh hierüber vor allem die Zusammenfassung in Krahes letztem Werke "Unsere ältesten Flußnamen", 1964, S. 32 ff.), nahm jedoch als sicher, daß diese Namen in die Länder südlich der Alpenkette (und ihrer Verlängerung nach Osten und Westen) erst von den abwandernden Einzelgruppen eingeführt wurden (a.a.O. S. 31 u. 87). Es ist aber nichts, das diese Grenzziehung fordert und die ganze Ländermasse nördlich der Alpenlinie (auch die Britischen Inseln und Skandinavien eingeschlossen?) als die Heimat der westindogermanischen Einheit sichert. Doch dürfen wir wohl als sehr wahrscheinlich gelten lassen, daß sich der Kern und Ausgangsraum der erörterten Hydronomie im wesentlichen mit den von mir gesuchten Sitzen der noch einheitlichen westindogermanischen Restgruppe deckt. Krahes Nachweise und Schlüsse ruhen auf sorgfältiger und mühevoller Kleinarbeit und sind für uns äußerst wichtig. Sie führen uns endlich vor die geschichtlichen Einzelsprachen zurück, legen viel weitere Zusammenhängt! klar, als die Namenforschung zuvor für möglich hielt, und stopfen die Quellen vieler Fehler. Solchen Folgerungen, wie sie aus dem Namen der Weser gezogen waren, ist nunmehr der Boden entzogen. Aber es war Krahe nicht vergönnt, fertig zu werden - wer wird dies schon? —. Manches ist nicht zu Ende gedacht, viele Einzelfragen, die sich melden mußten, auch wichtige blieben ohne Antwort oder wurden kaum gestellt — es mag sein, daß er sie vorerst von sich schob —. Ihm glückte ein großer und wichtiger Schritt, aber er kam nicht über diesen einen hinaus und setzte nun dort die Grenze fest:, die früher bei den uns mit Namen bekannten Gruppen festgelegen hatte (vgl. hierzu meine Besprechung des genannten Büchleins im AfdA. 78, 1967, S. 1-22, = Kl. Schr. III, S. 320-43). Dies letzte ergab sich daraus, daß Krahe dessen sicher war, daß es zwar in den Ländern südlich der Alpen vorindogermanische Namen gebe, nicht dagegen in Mitteleuropa. Dies gleicht: in seiner Unbeweisbarkeit einem Axiom. Wie er daran kam, habe ich nicht zu klären versucht. Von dieser Überzeugung aus ist seine folgenschwere Behauptung zu verstehen, die Flußnamen seiner Reihen seien nördlich der Alpen die absolut ältesten Namen, die da für uns erreichbar sind (a.a.O. S. 87), oder auf jeden Fall ein Teil dieser ältesten Schicht (so S. 33 und 106). Da er nun aber, wie schon bemerkt, in den Mittelmeerländern im Gegensatz hierzu das Dasein vorindogermanischer Substrate willig anerkannte, so gab dies seiner These, daß das "Kern- und Ursprungsland" seiner Hydronomie im Norden der Alpenlinie gelegen habe (S. 81) einen, wie er glaubte, sicheren Boden. Der Gegensatz, von dem er da ausgeht, wäre, wenn er wirklich besteht, jedoch schon daraus genügend erklärbar, daß die weitaus meisten alten Namen im Norden seiner alten Grenze wesentlich später und damit in viel jüngeren und stärker an die Sprachen, die dort in den geschichtlichen Perioden herrschten, angepaßten Formen bezeugt sind als ein starker Kern der südeuropäischen Namen. Es wäre aber trotzdem verwunderlich, wenn die Menschen, die in dem langen Zeitraum vom Ende der letzten Eiszeit bis ins 2. Jahrtausend vor Christus, dem Krahe seine Flußnamen zuspricht, in Mitteleuropa hausten - und die als Indogermancn in Anspruch zu nehmen waghalsig ist -, keinerlei Namen hinterlassen hätten, derer wir noch habhaft werden können. Es kommt noch hinzu, daß Krahe im allerletzten Satze seiner genannten Arbeit selber einräumt, die Namen der großen Flüsse Mitteleuropas, die nicht zu seiner Hydronomie gehören, seien jenen gegenüber eher älter als jünger. Außerdem sind es nicht die Flüsse allein, unter deren Namen sich solche von vorgeschichtlichem Alter erhalten haben. Zum mindesten bei denen der größeren Berge und Inseln steht es wenig anders. Sie sind nur weil ungleichmäßiger über die Länder verteilt. Auch auf der anderen Seite, in den Ländern südlich der Alpen, sieht es für den von Krahe behaupteten Gegensatz nicht so günstig aus, wie er glauben mochte. Da der Begriff des Indogermanischen den Alten fremd war, hat kein noch so gelehrter Autor der Antike von einem Volke sagen können, daß seine Sprache nicht indogermanisch war, und das Wenige, das auf europäischem Hoden in fremdartigen Sprachen aufgezeichnet wurde und erhalten blieb, lullt uns nicht weit. Unter den Massen dort bekannter, alter Völker und Stämme sind daher nur wenige, die mit Sicherheit nicht indogermanisch waren. Um Teile der Vorbewohner Griechenlands geht in dieser Frage ein schon lange währender Streit, und auch bei den Ligurern sind wir nicht sicher. Die schwerlich indogermanischen Etrusker sind, aus der Ägäis her, erst später als die indogermanischen Umbrer nach Italien gekommen. Ganz sicher nicht indogermanisch ist wohl nur der baskische Sprachstamm. Aber wir wissen nicht, wie weit er vor der Ankunft der Kelten über Aquitanien und Krahes Scheidelinie hinaus ostwärts gereicht haben kann. Leo Weisgerber fand in den römerzeitlichen Namen im Umkreis der Ardennen Spuren, die auf einen Zusammenhang mit dem Aquitanischen zu deuten scheinen (Ann, d. hist. Vereins f. d. Niederrhein 155/156, S. 47-81, sieh AfdA. 83, 115), und für den Fluß- und Bachnamen Itter, der bei uns von Brabant bis nach Nordhessen verstreut ist (insgesamt 8 mal), fand ich eine Erklärung nur im baskischen iturri "Quelle' (Abh. d. Mainzer Ak., 1963, S. 563, = Kl. Schr. III, 271). Krahe sagt auch nichts darüber, wie es in den indogermanisch gewordenen Ländern Südeuropas mit fremden Flußnamen stehen soll. Er nennt: keinen einzigen und auch keinen solchen Bildungstyp und ebensowenig eine Untersuchung, in der solche schlüssig nachgewiesen worden sind. Für Krahes Zweiteilung hätten auch nur Namen oder Namenbildungen Wert, von denen er mit großer Sicherheit behaupten darf, daß sie unter den Tausenden alter Gewässernamen Mittel- und Nordeuropas keine Verwandten haben. Wo sind diese? Vor rund 15 Jahren glückte es mir, einen zweiten großen und alten Flußnamenkomplex aufzuspüren, der sich durch ähnliche Merkmale verrät wie Krahes Hydronomie: die Verbreitung über sehr große Räume und die Beschränkung auf bestimmte, in weiter Streuung wiederkehrende Wortstämme wie auch Ableitungselemente, dazu eine noch stärkere Begrenzung im Lautstand. Es ist vor allem die Lautfolge ur, daneben aber auch ar und ir, in den Stammsilben, die diesen Namenreihen ihr Gepräge gibt und sie zusammenhält. Es sind Stämme wie Ur-, Dur-, Kur- und Stur-, dazu mit Suffixkonsonanten Durs- und Murs-, Urk- und Burk- und dergleichen mehr. Mit dem Kraheschen System ist dies Neue nicht nur allgemein durch die Beschränkung auf wenige Stämme und den Gebrauch bestimmter Ableitungsmittel verwandt, sondern ganz besonders durch das Fehlen oder die große Seltenheit der indogermanischen Grundvokale e und o. Dies rückt die beiden nahe aneinander. Doch ist in Krahes Reihen a der weitaus häufigste und u der seltenste der drei Vokale, während in den neuentdeckten u vorherrscht; und a erst in einigem Abstand folgt. Die auffallende Beschränkung meiner Reihen nicht nur auf die Stammvokale u, a und i, sondern darüber hinaus auch ihre Stellung vor r, bestätigt, so scheint mir, zugleich meine Überzeugung, daß auch für Krahes Hydronomie der begrenzte Lautbestand ein wesentliches Merkmal ist - Krahe stritt dies entschieden ab -. Die beiden Systeme scheinen sich auch darin unterschieden zu haben, daß bei Krahe die Suffixe durchweg mit einem Vokal begannen (Typ Sal-usia und Sal-ika), bei mir aber die meisten gleich mit dem Konsonanten (Dur-s-, Ur-k- usw.) Ich wies auf das "ur-/ar-System", wie ich es nenne, zuerst nur kurz in der Besprechung des hier mehrfach genannten Buches Krahes hin (AfdA. 78, S.4 6), und etwas ausführlicher dann in Namn och Bygd 59 (1971, S. 52-70). Hier beschränke ich mich nunmehr auf das, was für mein jetziges Thema, wichtig ist. Dies ist zunächst das Verbreitungsgebiet. Es ist größer als das der Kraheschen Namengruppen und scheint weithin die Grenzen Europas, die ich in meine Arbeiten einbezog, zu überschreiten. Es reicht sowohl im Norden und Westen wie im Süden bis an die Außenküsten unseres Erdteils, und im Südosten bis mindestens in die Länder um das Schwarze Meer. Eine Ostgrenze ist mir gänzlich dunkel. In den meisten Ländern sind diese Namen, soweit ich sehe, dünn gestreut. In einigen großen Landschaften fehlen sie so gut wie ganz, in anderen aber geht ihre Häufung weit über den Durchschnitt hinaus. Dieser starke Wechsel gehörte zum ersten, was meine Aufmerksamkeit auf die ur-/ar-Namen lenkte. Der nach meiner Kenntnis an ihnen reichste Raum ist der weite Umkreis der Ardennen. Er läßt sich mit vier Urk-Namen ungefähr umreißen: im Westen die Ource (zur oberen Seine) und die Ourcq zur Marne), im Norden die alte Insel Urk (in der Zuidersee) und im Osten die Orke (zur Eder in Nordhessen, vgl. NoB. 59, S. 55). Urk als Inselname zeigt uns, wie auch das nun Folgende, zugleich, daß die erörterten Namen nicht auf Flüsse eingeschränkt waren - es sind viele Inselnamen unter ihnen, von Griechenland bis Norwegen hin -. Die hiermit im Groben festgelegte, an ur-/ar-Namen besonders reiche Landschaft reicht im Nordosten bis an eine Linie, die ich die Borken-Grenze nenne, da sie ungefähr von der Insel Borkum bis nach Borken in Nordhessen läuft und in ihrer Nähe noch vier andere Orte mit Burk-Namen liegen (s. NoB. 59, 56). Jenseits von ihr folgt dann ein sich tief nach Osten erstreckender Raum, der, von einem schmalen Streifen an der Wasserkante abgesehn, von ur-/ar-Namen nahezu frei ist. Meine nächste Frage ist nun, zu welchem Sprachstamm die Völkerschaften gehörten, welche die ur-/ar-Namen gaben. Die oben genannten Merkmale, welche dieses System mit dem Kraheschen gemeinsam hat, machen es sehr wahrscheinlich, daß sie aus miteinander nahverwandten Sprachen hervorgegangen sind. Aus den erwähnten Voraussetzungen, von denen Krahe ausging, ergibt sich fast selbstverständlich, daß er seine Hydronomie für rein indogermanisch hielt. Er betont wiederholt, daß alle ihre Elemente, Stämme wie Suffixe, als indogermanisch nachweisbar sind (a.a.O. S. 32 und öfter), hätte aber nur behaupten dürfen, daß sie alle aus dem Indogermanischen -oder indogermanischen Tochtersprachen - erklärt werden können - Namenstämme, bei denen dies nicht glückte, schloß er aus! —. Er erkannte nicht, daß fast alles kaum schlechter aus nichtindogermanischen Wurzeln erklärt werden kann und seine Namenreihen als Ganzes wesentliche Elemente enthalten, die das Altindogermanische nicht zu erklären vermag. Am wichtigsten ist da das schon berührte auffallende Überwiegen des Vokales a — und daneben i und u — in allen Silben gegenüber einer großen Seltenheit, wenn nicht völligem Fehlen, der altindogermanischen Haupt- und Grundvokale e und o, das seine Hydronomie, wie schon gesagt, den ur-/ar-Namen naherückt. Da ich als gut indogermanisch an Krahes Namensystem fast allein das Gebiet ihrer Verbreitung anerkennen konnte, kam ich zu der Folgerung, daß die westlichen Indogermanen die Grundlagen dieser Hydronomie von Vorbewohnern übernommen, dann fortentwickelt und über die Länder, die sie besetzten, verbreitet haben, daß ihre Grundlagen aber dem ur-/ar-System sehr nahe gestanden haben werden. Hierbei achtete ich nicht darauf, daß die Indogermanen den überreichen Gebrauch von a, wie ich selber nachgewiesen habe, in der jüngeren Steinzeit in ihre Sprache, vornehmlich ihre Wortbildung, aufgenommen hatten, dies allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit aus einer fremden Sprachfamilie (KZ. 71, S. 143 ff., = Kl. Schr. I, S. 230 ff.), ihn nun aber in den Namen, die sie bildeten, ohne ein weiteres fremdes Vorbild anwenden konnten. Trotzdem ist die Verwandtschaft ihres Systems mit dem zweiten, auf das ich aufmerksam wurde, so groß, daß ich an die Unabhängigkeit der beiden voneinander nicht glauben kann. Ich denke hier vor allem an das uns schwer verständliche Prinzip, die Namenstämme nicht schlicht nach ihrer Bedeutung zu wählen, sondern ihrer Lautform dabei zum mindesten ein großes Mitspracherecht, wenn nicht gar das Alleinrecht, einzuräumen. An meinem "zweiten Alteuropa" sehe ich nichts, das auf ein Indogermanentum der Namengeber deutet. Die Lautfolge ur war dem Frühindogermanischen ähnlich ungewohnt wie das a allgemein und damit auch ar, und auch mit ir wird es ähnlich gewesen sein. Auch endungslose Nominative, wie sie in Dur (in Irland) und Nar (in Mittelitalien) bezeugt sind, waren dem Indogermanischen fremd. Ebenso wie dieses spricht das skizzierte Verbreitungsgebiet des ur-/ar-Systems, soweit ich es kenne, gegen Indogermanen als seine Schöpfer und Verbreiter. Da, wo wir die frühesten Sitze der westlichen Indogermanengruppe am sichersten suchen dürfen, im östlichen und auch mittleren Mitteleuropa, sind die ur-/ar-Namen innerhalb meines Arbeitsfeldes am seltensten. Die beiden alten Systeme schließen sich zwar, soweit das Krahe-sche vorgedrungen ist, im allgemeinen nicht aus, aber im Großen ist es doch so, daß sich die Länder mit stärkerem Anteil an -ur- in einem weiten Bogen um die früh indogermanisch gewordenen Kerngebiete der Namenreihen Krahes legen. Die Erklärung dieses Kartenbildes wie auch des übrigen Beigebrachten liegt, so denke ich, nah: die ur-/ar-Namen sind die älteren und waren, scheint es, einmal in den weitesten Teilen Europas (und auch noch darüber hinaus) im Gebrauch. Dann brachen von Osten Indogermanen ein, eigneten sich das Flußnamensystem, das sie vorfanden, an, formten es um und erweiterten es und führten es in den Ländern ein, die sie gewannen. So wurde der Geltungsraum der älteren Namenreihen ausgehöhlt und weithin gegen die Randgebiete und Küsten wie auch in Bergländer abgedrängt. Dabei scheinen sie anfangs so gut wie alle Namen des älteren Systems an ihr neues angepaßt oder anders ersetzt, später aber mehr und mehr von ihnen bestehen gelassen zu haben. So bildeten sich breite Misch- und Übergangssäume, streckenweise — am ehesten wohl da, wo die Grenze lange festlag -aber ziemlich klare Scheiden. So ist es nach meinem Stoffe an der schon erwähnten Borken-Grenze und im westlichen Dänemark, dazu am Oberrhein zwischen Bodensee und Vogesen, im obersten Pogebiet und wohl auch an der unteren Rhone (vgl. aber unten S. 23 f. über die Entstehung der beiden zuerst genannten Grenzabschnitte). Allen diesen Grenzscheiden ist gemeinsam daß die ur-/ar-Namen auf derjenigen Seite liegen, die dem mitteleuropäischen Kernraum jener Namen ferner ist. Das ist doch schwerlich Zufall und bestätigt mir, daß ihre Zurückdrängung aus dem Osten kam. Ist dies im wesentlichen richtig, dann war mein Nordwestblock, den ich glaube zu den Heimatländern des letzten Indogermanischen rechnen zu dürfen, nicht sehr lange in ihrem Besitz, und er war außerdem von der wichtigen Borkengrenze durchschnitten. Schon eh ich auf die ur-/ar-Namen und ihre dortige Grenze aufmerksam wurde, war mir diese Linie dadurch aufgefallen, daß sich einige andere Namen und Bildungselemente, die gleichfalls nicht indogermanischer Herkunft verdächtig sind, von Westen oder Südwesten her an ungefähr dieselbe Grenze halten, und ich vermutete schon damals, daß dort eine wichtige Grenze vorindogermanischer Namengebung gelegen habe (Abh. d. Mainzer Ak. 1963, S. 562-68). Selbst eine Verbindung, die entlang der Nordsee zu verwandten Namen hoch im Norden führte, fing da schon an sich abzuzeichnen. Aber ich konnte damals auch schon ein paar Beispiele dafür bringen, daß es auch im Nordostteil des Nordwestblocks nicht ganz an Namen einer vorindogermanischen Substratsprache fehlt. Das meiste hiervon wurde dann kurz darauf von der Masse der ur-/ar-Namen in einem unerwarteten Ausmaß ergänzt und auch, so glaube ich, bestätigt. Doch darf hier, wenigstens was die Borkengrenze angeht, nur von den Namen — und dann vielleicht den Sprachen — geredet werden (vgl. hierzu unten S. 23 f.). Die Vorgeschichte weiß von dieser Grenze nichts. Für die Aufgabe, die ich mir hier stellte, hat das jetzt Ausgeführte vor allem die Bedeutung, daß das letzte Indogermanisch in dem einzigen Raum, in dem wir Nennenswertes von ihm fassen, auf fremdem Substrat ruht. Wir dürfen es wohl als sicher nehmen, daß aus ihnen mancherlei in das Indogermanische, das sich dort durchsetzte, eingegangen ist. Dies wird, so glaube ich, von einigen lautlichen Erscheinungen bestätigt, die sein Nachlaß erkennen läßt (vgl. hierzu Kuhn, Festg. f. L. L. Hammerich, 1962, S. 122 f., = Kl. Schr. I, S. 398 f., Gedenkschrift f. W. Foerste, 1970, S. 50 f. und Festschr. f. K. Bischoff, 1975, S. 7, 19, 21 u. 26). Das Fremde, das schon von früh an auf vielerlei Wegen ins Indogermanische eingegangen sein muß, wird hier deshalb noch einmal verstärkt worden sein. Vor allem aber werden unter den Namengleichungen, mit denen ich versuchen will, einen Anteil unsres Nordwestens an den Südwanderungen westindogermanischer Gruppen dazutun und damit dann zu sichern, daß dieser zum Wohngebiet der letzten Indogermanen gehörte, allerlei nichtindogermanische Bildungen sein, die von den westwärts dringenden indogermanischen Gruppen übernommen worden waren. Ihr Zusammenhang mit südeuropäischen Namen beruht z. T. vielleicht aber auf schon vorindogermanischen verwandtschaftlichen Beziehungen. Eine weitere Fehlerquelle liegt darin, daß viele Namen des Nordwestblocks, die da irgendwo in Südeuropa nahe Verwandte haben, vielleicht auch in den östlicheren, uns nicht mehr zugänglichen Teilen der mitteleuropäischen Heimat der westlichen Indogermanen-gruppen bestanden haben und von da in den Süden gekommen sind. Dies sind Unsicherheitsfaktoren, an denen nur schwer vorbeizukommen ist. Zu ihnen kommen dann die allgemeinen, namentlich die zufälligen und meist erst sekundären Ähnlichkeiten - der ältesten Formen der Namen sind wir ja nur selten sicher -. Ich rechne daher, wie schon immer, damit, daß mir allerlei falsche Kombinationen unterlaufen, und ich weiß, daß möglichst viele Parallelen zusammenkommen müssen, damit falsche, die darunter sind, keinen nennenswerten Schaden tun. Auf der anderen Seite weiß ich aber auch, daß es nur kleine Reste des einstigen Bestandes sind, die wir noch zu fassen bekommen und für Vergleiche verwenden können. Es kommt hinzu, daß ich nur an ziemlich kleine Teile der noch vorhandenen oder erreichbaren alten Namen herangekommen bin, und dies auf beiden Seiten. Es kommt kaum mehr als Stichproben gleich, doch brachten die meisten von ihnen mehr als ich erwartet hatte. Ich komme nun zu den Namen, die einen Anteil des Nordwestblocks an den indogermanischen Wanderungen in die Mittelmeerländer sicher oder doch wahrscheinlich machen, kann da aber, obwohl mein Material, wie erwähnt, noch sehr lückenhaft ist, nicht alles vorlegen, dessen ich habhaft wurde, und wähle nur drei kleine Landschaften aus, die erheblich stärker beteiligt scheinen als der Durchschnitt. Als erste nehme ich das Gebiet der Marsi im Gebirge östlich Rom, weil schon ihr Name, da er im alten Westfalen wiederkehrt, besonders starke Beziehungen zu unserem Nordwestblock erwarten läßt. Ich weiß, daß dieser Name auf der italischen Seite, wegen einer vereinzelten Schreibung Martses (Dat. plur.) in einer Inschrift, aus *martii erklärt wird. Aber diese Inschrift kommt aus einer römischen Kolonie, in der der Name zu lat. Mars/Gen. Martis gestellt worden sein kann. Ein Actia in derselben Inschrift sowie auch der Name der auch marsischen Göttin Angitia (vgl. unten) haben den vermeinten Wandel nicht mitgemacht. Die spärlichen übrigen Zeugnisse für ihn gehören südlicheren Landschaften an. In dieser Lage scheint es mir nicht erlaubt, die beiden Marsi-Namen auseinanderzureißen. Aus dem kleinen Siedlungsraum der italischen Marsi sind, soweit ich feststellen konnte, im Altertum 11 nicht lateinische geographische Namen überliefert. Von ihnen haben mindestens 6 Stammverwandte auf deutschem Boden. Es sind Antinum (Ort): Anten (Antunum, nw. Osnabrück) und Enzen (2mal in Ripuarien) Aternus (Fluß): die Atter (bei Osnabrück) lacus Fucinus: Vochene (jetzt Vochem, zu Brühl, s. Köln), dazu (Alba) Fucens/Fucentia (Ort): Vochentz (Vögnitz, sö. Schweinfurt), vgl. auch Fohhences-heim Glanis/Clanis (Fluß, = Liris): Glan/Glane (vgl. AfdA. 78,21) mons Imeus : Ihme (zur Leine bei Hannover) oder Imen (jetzt Ehmen, nö. Braunschweig) Marruvium (Ort): Marvingi (Stamm). Den Ortsnamen Alba (Fucens) habe ich fortgelassen, da es mir zu unsicher ist, ob er mit dem auch bei uns nicht seltenen Flußnamenstamm Alb- (in Elbe usw.) oder dem Bergnamen Alb zusammenhängt, und ebenso Cerfennia (Ort) neben der Sippe von Carvium (jetzt Herwen; vgl. Rhein. Vjbll. 37,297 f.). Dagegen hat der in dem marsischen Ortsnamen lucus/fanum Angitiae genannte Name einer Göttin in Norddeutschland überraschende Parallelen. In Osnabrück ist der Frauenname Engize bezeugt, und in Köln eine Engezen-gazze, dazu dann der Ortsname Enget-here (jetzt Engter, n. Osnabrück). Dazu Schlaug, Studien zu den altsächsischen Personennamen des 11. und 12. Jahrhunderts, S. 193 f., Gysseling, Toponymisch Woordenboek, S. 320. Plinius nennt außerdem in einer anderen Landschaft den Einwohnernamen Abellinates und bezeichnet sie als Marsi. Dieser Name kann mit dem auch von Plinius bezeugten Namen der germanischen Bernsteininsel Abalus zusammenhängen. Keine Anknüpfungsmöglichkeit besteht, soweit ich sehe, allein bei den marsischen - aber nicht nur marsischen - Flußnamen Liris und Pitonius und dem Einwohnernamen Anxatini. Es ist mir klar, daß keine dieser einzelnen Gleichungen auf festen Füßen steht, ebenso aber auch, daß der Zufall selten so viele Ähnlichkeiten anhäuft. Dies gilt namentlich vom Osnabrückschen. Da kommen von den deutschen Namen, die zusammen waren, nicht nur Anten, Atter, Engize (samt Engter und Glane, diese mehrfach) zusammen, sondern auch der Name Marsi selbst hat dort einen Verwandten, den Ortsnamen Marsunon/Marsene (jetzt Merzen geschrieben, nw. Osnabrück). Doch hat Marsi bei uns auch noch manche weitere Angehörige, die meisten in den Niederlanden, wo im Altertum die Marsaci saßen und im Mittelalter ein Gau an der Maasmündung Marsum hieß. Aber auch von den anderen jetzt wiederholten Namen ist keiner auf dies Gebiet beschränkt. Diese Lage warnt davor, auf der Grundlage solcher Beziehungen ohne weitere Anhaltspunkte einzelnen Auswanderergruppen eine bestimmte Heimatlandschaft zuzusprechen. Da das Osnabrücker Land und insbesondere das Gebiet um die Hase nördlich der Bergkette hier so stark in den Vordergrund rückte, prüfte ich darauf, ob dort noch weitere alte Namen auf Beziehungen zu Italien weisen, und fand unter anderem noch einiges, das mir besondere Aufmerksamkeit zu verdienen scheint. Dem Namen der Hase kann ein vorgermanisch Kosa zugrundeliegen. Cosa heißt aber auch ein kleiner Fluß in Latium nah an der Grenze zu den Marsi. An ihr sind im Altertum zwei Orte bezeugt, Aletrium und Frusino. Der erste dieser Namen hat in Elidrun/Elderun, jetzt Eltern (das d statt t ist Corveyer Schreibung) einen Vetter an unserer Hase. Es gibt in Mittelitalien aber auch eine Ortschaft Cosa. Sie liegt in der Gemarkung der alten Etruskerstadt Volci (nw. Rom). Volci aber scheint dasselbe zu sein wie der keltische Stammesname Volcae - oder doch aufs engste mit ihm verwandt-, und damit zugleich auch wie germanisch *Falhōs (mit F- aus W-), das spätere Falen. Die Landschaft um die Hase aber gehörte sehr wahrscheinlich zu den ältesten Sitzen deren westlicher Gruppe, der Westfalen (sieh zu diesen Fragen Kuhn, Westf. Forsch. 27, 1975, S. 1-7). Bei uns also die Hase mit Eltern und Falen, und in Mittelitalien Cosa mit Aletrium und Volci. Gegen die Zufälligkeit der bisher genannten Gleichungen spricht noch, daß die Cosa-Namen in Italien eine isolierte Gruppe bilden (s. unten). Ein zweites Beispiel: In dem kleinen Flußgebiet der Alme, die nahe Paderborn von Süden in die Lippe mündet, fielen mir 8 Namen auf, die A- als Anlaut gehabt haben werden, einen ungermanischen Eindruck machen und ebenfalls mit A- im Stamm allesamt Stammverwandte im Süden Europas zu haben scheinen. Es sind die Flußnamen Alme, Altenau und Afte und die Ortsnamen Elsen, Ahden und Alfen, Etteln und Atteln. Neben Alme (alt Almana) stehen Almana, Ort in Makedonien, Alma, Fluß in Etrurien, Almo, kleiner Fluß bei Rom, neben Altenau Altanum, Ort in Bruttium, und Altinum in Venetien, dazu auch `Άλτις in Olympia (vgl. zu diesem Namenstamm Kuhn, Westf. Forsch. 12, S. 20 f., = Kl. Schr. III, S. 137 f.), neben Afte der Ortsname `Άπταρα/`Άπτερα auf Kreta, neben Elsen Alsium in Etrurien, Alsa, Fluß in Venetien, `Αλείσιον in Elis und `Αλφειός in Lakonien, neben Ahden (alt Adana — samt Ober und Nieder Aden bei Kamen) das siebenmalige gr. `Αθα~ναι/`Αθη~ναι samt Adana in Kilikien, neben Alfen die vielen schon berührten Städte namens Alba (und auch Albium) in Italien, aber auch die Flußnamen Albinia in Etrurien, Albula (= Tiber) und `Αλφειός auf der Peloponnes, neben Etteln (alt Etlinon) und Atteln (alt Atlon) steht Atella, Stadt in Kampanien, und die römische gens Atilia, dazu Attalia als Name zweier Städte in Kleinasien. An den südlichen Gegenstücken der 7 erörterten alten Namenstämme mit altem A-Anlaut im Almeraum, die ich nennen konnte, sind sowohl Italien wie Griechenland in mindestens 5 Fällen beteiligt. Von diesen griechischen Namen stehen 3 schon im Schiffskatalog der Ilias (`Αλείσιον , `Αθη~ναι und `Αλφειός). Ich betone dies, weil die herrschende Lehre dem Germanischen und Griechischen nennenswerte verwandtschaftliche Beziehungen abspricht, obwohl die normale Steigerung der Adjektiva auf beiden Seiten gleich ist und gr. κει~νος (`εκει~νος) und κη~νος "jener" nur in den altnordischen Pronomina hinn und bann Entsprechungen zu haben scheinen. In den Namen kann es sich jedoch überall um Beziehungen handeln, die schon vorindogermanischen Schichten angehören. Als ziemlich sichere Fälle dieser Art erwähne ich noch die griechischen Inselnamen Κάρνος und Σύρνος neben den norwegischen Hern und Surn-øy, die zu den Gruppen der ur-/ar-Namen gehören. Auch zur Erklärung der Apellativa mit p-Anlaut, die aus einer Substratsprache ins Germanische übernommen sind (ZfMaf. 28, S. 3-10, = Kl. Schr. I, S. 363-370), kam ich ohne griechische Hilfe nicht aus (sieh Nr. 13 peþil-, 19 purs-, 31 pāg-, 32 pōl -und 34 platt-). Auf der italischen Seite ist es wichtig, daß die verwandtschaftlichen Beziehungen unserer ältesten Namen viel öfter zur Mitte des Landes und auch seinem Süden gehen als zu seinem Norden. Dies wird am deutlichsten in einigen Fällen, in denen der südliche Verwandte mehrfach bezeugt ist. So ist es bei den zwei Cosa, zu denen in Cora (sö. Rom) wahrscheinlich noch ein dritter Fall (mit lateinisch -s- > -r-) hinzukommt. Auch der Flußname Glanis/Clanis ist noch zwei weitere Male da — in Etrurien (zur Tiber) und in Kampanien —. Das gleichfalls genannte Volci hat in Lukanien noch ein Volcei neben sich. Unserem falis "Fels", dessen Kerngebiet der große Umkreis der Ardennen gewesen sein wird und das als falaise auch ins Französische gegangen ist, begegnen wir in Mittelitalien 3 mal wieder, in Falesia, an der etruskischen Küste, der alten Felsenstadt Falerii (n. Rom), mit dem Einwohnernamen Falisci (vgl. Westf. Forsch. 12, S. 43, = Kl. Schr. III, S. 171), und in ager Falernus im nördlichsten Kampanien, dazu wohl aber auch im norditalischen Felsina, dem älteren Namen Bolognas, sowie in Φαλασίαι in Arkadien und Φαλασία (oder Φαλασσία) `άκρα auf Euböa. Nah dem ager Falernus ist der mons Massicus, dessen Mass- in dem Ortsnamen Massa Veternensis in Etrurien wiederkehren wird und wohl mit dem althessischen Mattium zusammenhängt (Kuhn, Festschr. f. K. Bischoff, 1975, S. 7 f.). Gleichungen, wie diese letzten, machen es, obwohl auch hier nicht alles sicher ist, in ihrer Häufung doch wohl sicher, daß zwischen dem vorgeschichtlichen deutschen und dem alten mittel- und auch süditalischen Namengut eine besonders enge Beziehung besteht, die wir (wenn auch vorindogermanische Bildungen darunter sind) wohl nur daraus erklären können, daß erhebliche Teile der in die Mitte und den Süden Italiens eingewanderten Indogermanen aus unserem Norden gekommen sind. Wieweit sie aus dem Nordwestblock kamen, der uns die Namenparallelen liefert, und nicht aus den östlichen Teilen der einstigen Heimat der letzten Indogermanen, ist eine andere Frage (vgl. oben). Wir können dies mit einiger Zuversicht wohl nur da behaupten, wo die Namen auf beiden Seiten in derselben Kombination erscheinen, oder es wahrscheinlich ist, daß sie bei uns nur im Westteil des Nordwestblocks heimisch waren. Ich kenne zwar viele Namen oder Namenelemente, die bei uns auf den Westteil des Nordwestblocks beschränkt erscheinen und doch auch in den indogermanischen Ländern Südeuropas bezeugt sind, aber die meisten können, wie schon berührt, auf beiden Seiten zum Nachlaß vorindogermanischer Substrate gehören, und viele tun dies mit großer Wahrscheinlichkeit - so etwa mancherlei Glieder des ur-/ar-Systems —. Auch den gemeinsamen Besitz von Namen der Kraheschen Hydronomie wird kaum noch jemand ohne weiteres mit einer späten und direkten Übertragung von einem Fluß auf den anderen erklären. Ganz anders steht es mit dem Flußnamenstamme Glan-, den wir im mittleren Italien 3 mal und im weiteren Umkreis der Hase 4 mal kennen. Sein Dichtigkeitszentrum ist der Westen des Nordwestblocks (Kuhn AfdA. 78, S. 28), doch ist er auch in den einst keltischen Ländern verstreut. Über die Weser geht er nur mit einer vereinzelten Glene (zur mittleren Leine, Hydr. Germ. 8, S. 35). Der Stamm wird indogermanisch sein, nicht jedoch, wie noch Krahe glaubte, keltisch (a.a.O. S. 88 f.). Da die einst keltischen Landschaften Norditaliens ohne ein Glan- sind, und auch Südfrankreich kaum beteiligt ist, sind die drei im südlicheren Italien sehr wahrscheinlich mit den vielen anderen Namen aus Norddeutschland gekommen. Doch kommt da als Ausgangsraum kaum andres als der Westteil des Nordwestblocks in Frage. Ähnlich ist es mit dem lacus Prilius, wie die Lagunen vor der Umbro-Mündung in Etrurien im Altertum hießen. Pril ist offenkundig dasselbe wie ndd. und ndl. Priel als Bezeichnung der Rinnen, durch welche die Flut im Wattenmeer ein- und ausläuft. Da unserem Wort die germanische Lautverschiebung fehlt, muß es im Nordwestblock übernommen und wird auch von ihm ausgegangen sein. Das ist bei einem derart landschaftsgebundenen Wort von vornherein wahrscheinlich. Ähnlich steht es mit dem schon herangezogenen fales- "Fels", dessen Heimat eindeutig im Südwesten des Nordwestblocks lag und das von dort nach Italien - und auch Griechenland — gelangt sein wird. Ich nehme zwar an, daß sowohl pril- wie fales- vorindogermanischen Ursprungs sind, aber sie werden doch erst von Indogermanen nach Italien verpflanzt worden sein. Dann ist da noch der Ortsname Aefula mit dem mons Aeflanus in Latium, der doch wohl aus der Eifel (alt Eifla u. ä.) gekommen ist, es sei denn daß Eifla (mit hochdeutscher Lautverschiebung) auf Aipula od. ä. zurückgeht und zu der dunklen Sippe von gr. α`ιπος; (n.) "steile Höhe" gehört. Auf den Nordwestblock wird auch der Gewässernamenstamm man- oder mann- begrenzt gewesen sein, der da, abgesehn von Holtismenni an der Oberweser (heute Holzminden), etwa 10 mal im Gebiet zwischen Dortmund und Kassel bezeugt ist und nur in lat. mānāre "fließen" einen Verwandten zu haben scheint (Kuhn, Festschr. f. K. Bischoff, S. 25). Das Lateinische wird es aus dem genannten Abschnitt des Nordwestblocks erhalten haben. Doch macht der Wechsel von man(n)-und man- vorindogermanische Herkunft auch dieses Worts wahrscheinlich (vgl. Kuhn, Festg. f. Hammerich, 1962, S. 122 f.). Obschon es mir im wesentlichen darum geht, daß die alten Namen einen starken Zusammenhang zwischen großen Teilen der indogermanischen Länder südlich der Alpen und dem Norden Deutschlands bestätigen, ist es mir trotzdem wichtig zu sichern, daß unser Nordwestblock, der allein uns auf unserer Seite einen tiefen Einblick in Namenschichten längst vergangener Zeiten gewährt, und vor allen Dingen sein am spätesten indogermanisch gewordener Südwestteil, aktiv an dieser Übertragung von Namen oder Namenwörtern Anteil hatte. Denn es würde doch wohl aussagen, daß diese Gebiete damals, als dies geschah, schon in indogermanischen Händen, wenn vielleicht auch sprachlich noch nicht gänzlich eingeschmolzen waren. Da an den Namengleichungen, die am ehesten für den erörterten Anteil Zeugnis geben, auch Etrurien beteiligt ist (mit mindestens Glanis, Prilius und Falesia), die Indogermanen dorthin aber gekommen sein müssen, eh die Landschaft in die Hände der Etrusker fiel, so ergibt sich der wichtige Schluß, daß der Südwestteil des Nordwestblocks indogermanisch geworden sein muß, noch bevor Etrurien etruskisch wurde (vgl. u. S. 24). Doch muß ich, um dem einen festeren Boden zu geben, noch etwas ausholen. Seit Johannes Schmidt 1872 die Verwandtschaftsverhältnisse der indogermanischen Sprachzweige untereinander mit dem Bilde vieler sich überschneidender Wellenringe erklärte (der Wellentheorie), und sich diese Theorie unter anderem an den verwandtschaftlichen Beziehungen der deutschen Mundarten bewährte, wurde wieder und wieder versucht, aus solchen Beziehungen das ursprüngliche Lageverhältnis der Siedlungsgebiete einzelner Sprach- und Mundartgruppen zu erschließen: zwei solche Gruppen, denen wichtige Neuerungen gemeinsam sind, müssen einstmals Nachbarn gewesen sein. Nimmt man all die Nachbarschaften, die sich ergeben, zusammen, dann wird sich der einstige Siedlungsplan der Gesamtheit Waben gleich zusammensetzen lassen. "Nachbarschaft" ist daher ein wichtiges Kennwort dieses Verfahrens. Auch H. Krahe hing ihm an, und in seinem Buche über "Sprache und Vorzeit", in dem er es unternahm, die Wege der westindogermanischen Sprachen von der gemeinsamen Grundlage bis in ihre späteren Sitze zu verfolgen, spricht er wohl 15 bis 20 mal von solchen einstigen Nachbarschaften. Aber bei den verwickelten Verhältnissen zwischen den zwei italischen und zwei keltischen Untergruppen (S. 83-98) versagt ihm dieser Weg, und er greift zu der eigenartigen These, diese beiden Gruppen seien aus einem gemeinsamen Ursprungsgebiet hervorgegangen, in dem die mundartliche Entwicklung noch unfertig war (S. 88 f. u. 96 f., dazu 92) und das offene Grenzen hatte (S. 91). Hier versagt die Wellentheorie mitsamt den Nachbarschaften. Das wundert mich nicht. Denn sie setzt neben anderem voraus, daß die sprachlichen Einheiten, die bei abgewanderten Gruppen greifbar werden, auch schon vor der Abtrennung, d. h. im noch geschlossenen Gefüge des alten Siedlungsraums, als Untereinheiten vorgebildet waren, und daß sie in ihrer Zusammensetzung im wesentlichen unverändert blieben, so daß Kelten, Illyrer usw. zum mindesten als Keimzellen und zugleich mit den Grundzügen ihrer späteren Sprachen schon innerhalb des einstigen größeren Verbands existierten. Über diese allgemeine Voraussetzung fand ich nirgends eine Rechtfertigung. Ich bin überzeugt, daß sie nur ziemlich selten erfüllt war. Seit wir Einblick in derlei Wanderbewegungen haben, und das ist seit den frühesten germanischen Zügen gegen Süden, pflegte es ganz anders zuzugehen. So hatte Ariovist in seinem Heere außer Sweben auch Haruden, Markomannen, Triboker, Vangionen, Nemeter und Sedusier (Caesar, B. G. I, 51). Wäre ihnen im Elsaß die Ansiedlung geglückt, dann wären sie wahrscheinlich bald zu einem neuen Stamme zusammengewachsen, und die meisten Frauen, und damit die Mütter ihrer Kinder, hätten sie sich obendrein dort in der Fremde gesucht. Der Historiker R. Wenskus zeigte 1961 an einem riesigen Stoffe, daß die in der Völkerwanderung ausziehenden Gruppen, wennschon sie ihrem Grundbestand und auch Namen nach einem einzelnen Stamm angehörten, auf ihren Wegen doch bald auch Andersstämmige aufzunehmen pflegten, bis zu Fremdvölkischen hin, und sich in der neuen Heimat dazu mit Teilen der älteren Bevölkerung mischten (Stammesbildung und Verfassung). Er braucht das gute Bild der Wanderlawine. Noch klarer wird dies in der Wikingerzeit, bei der deutschen Ostsiedlung im Mittelalter und in den überseeischen Kolonien der Neuzeit. Es hat, und das ist hier das Wichtigste, selbstverständlich auch zu vielerlei Mundart- und Sprachmischungen führen müssen. Es ist von vornherein unwahrscheinlich, daß es in der dunklen vorgeschichtlichen Zeit durchweg anders zuzugehen pflegte als späterhin. Die Verhältnisse in den italischen und keltischen Untergruppen, für welche Krahe unter seinen Voraussetzungen keine einleuchtende Erklärung geben konnte, werden leicht verständlich, wenn wir davon ausgehn, daß sie sich zum Teil aus den Gebieten derselben schon auseinandergewachsenen Mundarten der älteren Heimat rekrutierten, der Ausgleich zwischen diesen die entstehenden neuen Einheiten oder Untereinheiten dann aber verschiedene Wege führte. Aber auch da, wo wir dem Anschein nach mit Nachbarschaftsbeziehungen auskommen können, wird es meist nicht anders gewesen sein. Darauf deuten unter anderem viele Unregelmäßigkeiten im Lautstand des Lateinischen, in dem allerdings zumeist der bequeme aber durchweg unkontrollierbare Ausweg bleibt, ihn einem der anderen italischen Dialekte in die Schuhe zu schieben. Aber im Germanischen haben wir keine solche Hintertür und trotzdem kaum weniger Wortformen, die sich nicht aus seiner normalen Entwicklung erklären lassen, wohl dagegen aus der in anderen Zweigen des Westindogermanischen. Krahe hat auf diese Einzelgänger nicht im geringsten geachtet. Hätte er es getan und ein Bündel solcher Fälle in seine Untersuchung aufgenommen, dann würde er die Nachbarschaftsthese wahrscheinlich in einen engen Winkel verwiesen haben. Aber sie verdienen nicht weniger Rücksicht als jene Formen, welche die Grammatik als regelmäßig anerkennt. Ich halte mich hier vor allem an die Entwicklung der indogermanischen Labiovelare. Sie müssen etwas schwierige Laute gewesen sein, sind im Lautvorrat der Sprachen selten und haben im großen wie im kleinen zu vielerlei Verwirrung geführt. Sie haben auch den Hauptanteil an den Schwierigkeiten, die Krahe mit dem Keltischen und Italischen hatte. Im Germanischen wechseln in ihrer Nachfolge einfache Gutturale und Labiale miteinander, angeblich lautgesetzlich geregelt - und dann durch analogischen Ausgleich gründlich gestört -, in Wirklichkeit wahrscheinlich ohne jede Regel. So stehn bei uns denn nebeneinander kriechen und nd. krupen, streichen und streifen, tauchen und taufen, nd. Siek und Siepen "feuchte Bodensenke", engl. shrink und hd. schrumpfen, Strunk und Strumpf, got. *auhns/ altschw. ugn und dt. Ofen, an. ylgr "Wölfin" und ulfr "Wolf", dt. leihen und bleiben und dergleichen mehr. Der seltenere - und daher im ganzen als unregelmäßig geltende - Labial hat sich in einigen wichtigen germanischen Wortstämmen ganz durchgesetzt, so im Zahlwort vier (got. fidwōr) gegenüber lat. quattuor, aber auch im Inlaut von fünf (got. fimf, statt *finh > * fīh), und dies entspricht mit seinen zwei Labialen osk. *pompe (und gall. *pempe), während unser Wolf mit seinem f lat. lupus (und an. ylgr "Wölfin" gr. λύκος) entspricht. Die indogermanische Grundform von fünf ist penque. Aber im Lateinischen und Keltischen ist anlautend p-, wenn ihm qu folgte, auch zu qu- geworden. Daher heißt es im Lateinischen quinque, und ähnlich, etwas weiter gebildet, coquo "kochen", zu idg. pequ-/poqu- "kochen, backen". Hier haben wir nun auch bei uns in kak-/kōk- "Kuchen" (an. *kaka, oder *ko,kva, ahd. kuocho) eine klare Entsprechung mit derselben, dem Germanischen sonst fremden Grundform. Wegen der Lautfolge Tenuis + Vokal + Tenuis können diese Stämme nicht ordnungsgemäß aus dem Indogermanischen geerbt (Kuhn, Festg. f. L. L. Hammerich, 1962, S. 118) und wegen des Übergangs von o > a und des Wechsels von a und ŏ auch nicht aus dem Lateinischen entlehnt sein. Es bleibt als Erklärung nur, daß die Wörter ihre gemeinsame Grundform - vielleicht auch schon mit *quequ- > *koqu-, aber es gab im Griechischen auch, mit o im Stamm, das nahverwandte πόπανον "Gebäck" schon aus einer Mundart in der westindogermanischen Heimat beider Sprachen erhalten haben, und dies, wegen des Fehlens der Lautverschiebung auf der germanischen Seite, sehr wahrscheinlich im Raume des Nordwestblocks. Dagegen zeigen die übrigen genannten Fälle (kriechen, krupen usw., samt vier und fünf) durch die Teilnahme an der germanischen Lautverschiebung, daß diese Entwicklung nicht nur im Gebiet des Nordwestblocks stattgefunden hat. Im Lateinischen ist u in der Stellung zwischen l und b oder p zum Teil zu i geworden (libet neben lubet, clipeus neben clupeus u. a.). Dies Nebeneinander ist früh bezeugt und wahrscheinlich schon nach Italien mitgebracht. Denn wir haben eine genaue Entsprechung in unserem Flußnamen Lippe, den die Römer nur als Lupia (u. ä.) kannten. Aber keine germanische oder deutsche Lautregel kann erklären, wie daraus Lippe wurde (zuerst Lippa beim Geo-graphen von Ravenna). Aber auch die Stadt Lecce in Kalabrien -- das von Illyrern besetzt sein soll - hieß im Altertum Lupiae oder Lupia, scheint aber schon früh auch Lipia o. ä. geschrieben zu sein, so wie die heutige Form es voraussetzt. Es ist also ein altwestindogermanischer mundartlicher Laut-übergang, und wir können ihn dieses Mal auf den Nordwestblock festlegen. Vielleicht hieß der Fluß einmal im Unterlauf, wo die Römer ihn kennenlernten, Lupia, oberhalb der Borkengrenze, die ihn kreuzt, dagegen Lipia. Krahe war sich dessen wohl bewußt, daß die vielen gleichen oder engverwandten Neuerungen in mehreren später voneinander getrennten Zweigen des Westindogermanischen in der Regel zur Voraussetzung haben, daß diese Neuerungen schon in der gemeinsamen Heimat nördlich der Alpen vorgebildet waren — dies ist ja eine wesentliche Grundlage seines Verwandtschafts-schemas -, und er erkennt damit an, daß in der älteren Heimat .schon eine starke mundartliche Aufspaltung der ererbten Sprache bestanden haben muß. Die artverwandten Formendoppelungen innerhalb einzelner dieser Zweige, die aber doch auch in anderen Zweigen Parallelen haben, von denen ich einige Beispiele nannte, fügen noch mancherlei Weiteres bei. Die auffallend starke mundartliche Zerrissenheit des Westindogermanischen, die sich hieraus ergibt, wird noch dadurch ergänzt und betont, daß wir keine lautliche oder grammatische Neuerung kennen, welche die Gesamtheit dieses Teils des Indogermanischen erfaßt hat und diesen Hauptteil gegenüber den vor langem ausgeschiedenen östlichen Gruppen zu einer Einheit macht. Das Westindogermanische war danach, als die großen neuen Abwanderungen kamen, schon so weit zerfallen, daß wir zögern müssen, es noch als eine Sprache anzuerkennen. Es sind nicht nur geringfügige lautliche Verschiebungen um die es hier geht. Auf eine, der eine erhebliche Bedeutung zukam, machte ich ZfMaf. 28, S. 13 aufmerksam: den Übergang der Tenues zu Medien. Allein 7 der ins Germanische übernommenen alten Wörter mit p-Anlaut, die ich am angeführten Ort zusammenstellte, haben Nebenformen mit anlautendem b-. Ich habe inzwischen beträchtlich mehr von solchen Fällen gesammelt, die meisten aus dem Germanischen. Hier haben wir u. a. dragan "ziehen" neben lat. trahere, drōg-/drūg-/drukn- "trocken" neben got. þaursus "dürr" aus tr.s-), digr- "dick" neben þikw-, das Präfix ga- aus idg. kom-, dazu vielleicht bergan "bergen" neben lat. parcere "schonen" und geban "geben" (samt kelt. gab- "geben" und "nehmen") neben lat. capere. Im Lateinischen fielen mir auf bibere ,trinken' zum indogermanischen Stamm pō-, gladius "Schwert" neben clādes "Verletzung" und sagitta "Pfeil" neben secare "schneiden". Schon vorindogermanisch werden die Doppelformen sein, die wir in der Sippe von germ. perk- "Pferch" gegenüber unserem Barre haben. Die Namenparallelen zwischen Norden und Süden, die ich kenne, steuern nur wenig zu der Frage bei, ob die Abgewanderten in geschlossenen lands-männischen Verbänden oder in durcheinandergewürfelten Haufen in die neue Heimat zu kommen pflegten. Die Fälle, in denen mehrere im Norden benachbarte Namen auch im Süden wieder als Nachbarn erscheinen, sind allzu selten und sagen auch nur wenig aus. Daß größere Namengruppen des Nordens in einer geschlossenen Landschaft des Südens eine Parallele haben, wie die herrschende Theorie vermuten läßt, darauf deutet, soweit ich sehe, kaum etwas. Hätte diese Lehre recht, dann müßte sich zum Beispiel im Umkreis des oben erwähnten lacus Prilius ein Volksstamm angesiedelt haben, der von unserer Nordseeküste kam. Es hat jedoch genug sein müssen, daß unter den Ankömmlingen Einzelne waren, die in der großen Lagune an der Umbromündung, für welche die übrigen kaum eine Bezeichnung wissen konnten, einen Verwandten des an Prielen reichen Wattenmeers erkannten. Noch viel deutlicher sagen einige Übertragungen anderer Art, was ich meine. In der Val Camonica (nördlich Brescia) sind Mengen von Felsritzungcn gefunden, die mit den bekannten nordischen der Bronzezeit aufs engste zusammenhängen müssen. Die Sprache der Inschriften auf einigen von ihnen aber ist italisch. Die Erklärung kann nur sein, daß unter denen, die in das Alpen-tal verschlagen wurden, einige mit der Kunst der Felsritzungen vertraute Skandinavier waren, die die Eignung des dortigen Felsmaterials für diesen Zweck erkannten und ihren heimischen Brauch in das Tal verpflanzten. Wäre das Tal von einer geschlossenen nordischen Einheit besetzt, dann würde die Sprache der zugehörigen Inschriften kaum italisch sein. Die Auslegung, die z. B. Krahe gibt, die Felsritzer müßten in nächster Nähe der Germanen gewohnt haben, die später nach Schweden gingen (Die Indogermanisierung Griechenlands und Italiens, 1949, S. 52), ist ein Unding. Oder wir müßten in dieser Nähe solches Gestein und solche Ritzungen kennen. Die Zeit der späteren germanischen Wanderungen liefert hierzu noch eine willkommene Parallele. Der Wortschatz der nordgermanischen und der alemannisch-alpinen Almwirtschaft hat einige wichtige Termini gemeinsam, obschon in dem weiten Zwischenland von dieser Wirtschaftsform nichts bekannt ist und die Bedingungen für sie auch sehr schlecht sind. Ich habe die Frage, wie dies möglich war, in einer Besprechung von Eduard Kolb, Alemannisch-nordgermanisches Wortgut, im AfdA. 70 (1957/58), S. 147 f., erörtert und die Antwort da schon in derselben Richtung gesucht wie im Falle der Felszeichnungen (vgl. Kl. Schr. I, S. 321 f.). Es ergab sich mit großer Wahrscheinlichkeit, daß das letzte Indogermanisch dort gesprochen wurde, wo die Forschung seit langem die Heimat der west- oder restindogermanischen Teilvölker suchte: im nördlichen und auch östlichen Mitteleuropa, und daß sie meinen "Nordwestblock", oder zum mindesten seine größten Teile, einschloß. Jedoch ist in ihm in allen seinen Teilen ein nichtindogermanisches Substrat erkennbar, und in seinem Südwestteil tritt dies so stark zutage, daß wir in ihm entweder mit einer sehr späten oder aber nur einer oberflächlichen Indogermanisierung rechnen müssen, Es ist jedoch auch unerweislich und auch sehr unwahrscheinlich, daß das Indogermanische in den übrigen - den östlichen - Gebieten, in denen es noch nach der Ablösung der letzten größeren Teilgruppen fortbestand, urauto- chthon gewesen ist. Ich erinnere nur daran, daß das nichtindogermanische System der ur-/ar-Namen sich um den Kernraum der indogermanischen "alteuropäischen Hydronomie" zum mindesten im Norden, Westen und Süden herumgelegt und seine Mitte an jene verloren haben wird. Wenigstens im Westen müssen wir auf jeden Fall einer starken Beimischung neu hinzugekommener fremder Elemente sicher sein. Auch im übrigen war das letzte Indogermanisch keine Einheit mehr, sondern dialektisch sehr zerspalten und auch, soweit erkennbar, ohne eine Fortentwicklung, die es als Einheit erweist. Es fand seinen Untergang aber nicht durch die Auflösung in selbständig werdende Untergruppen, sondern erlag am Ende vielmehr zweien seiner früher abgespaltenen Teile, im Osten dem Germanischen, im Westen dem Latein. Welche Bedeutung der baltischen Gruppe dabei zugekommen sein mag, wird wohl dunkel bleiben. Es bleibt nun noch zu erörtern, was wir über die Zeit der vielen Ereignisse, die mein Thema berühren, erschließen können. Wann sich die ersten Gruppen vom indogermanischen Grundstock trennten, liegt im Dunkeln. Später als um 2000 vor Christus kann es aber kaum geschehen sein. Denn es dauerte dann nicht mehr lange, bis wir im Osten und Südosten auf die ersten Spuren indogermanischer Völker stoßen, und spätestens um die Mitte des 2. Jahrtausends tauchen dann auch die ersten sprachlichen Zeugnisse auf (in Indien, bei den Hethitern und in Griechenland). In die erste Hälfte des genannten Jahrtausends setzte Krahe auch die Blüte seiner Hydronomie. Da das Ausscheiden der genannten großen östlichen Untergruppen dieser vorausgegangen sein muß und die "a-Mode", das Wuchern des Vokales a, in ihr am stärksten wirksam war, diese aber in der jüngeren Steinzeit und Bronzezeit geherrscht haben muß (Kuhn, K. Z. 71, 1954, S. 143-161, = Kl. Schr. I, S. 230-245), so wird Krahes zeitliche Zuordnung, die ja großen Spielraum läßt, wohl richtig sein. Etwa um 2000 vor Christus hilft uns aber die Vorgeschichtsforschung noch in einer eigenartigen Weise mit einem wichtigen Datum. Kurz vorher hatten sich Teile der sogenannten Schnurkeramiker - auch Streitaxtleute genannt -im inneren Jütland inmitten der dortigen älteren Bevölkerung festgesetzt, wahrscheinlich bald die Herrschaft an sich gerissen und die Kultur der Riesensteingräber zu Fall gebracht. Dies gilt als der erste Einbruch von Indogermanen in den nordgermanischen Raum. In den östlichen Teilen Dänemarks, vor allem auf den Inseln, wurden Riesensteingräber dagegen noch rund zwei weitere Jahrhunderte angelegt, von etwa 2000 bis 1800, und erst dann wurden auch diese Gebiete von schnurkeramischen Gruppen — die größtenteils von der unteren Oder kamen - unterworfen. Die westliche Grenze dieser jüngeren Riesensteingräber, die da, im ganzen von Norden nach Süden, durch Dänemark zieht und kaum einmal von der Natur gegebenen Scheiden folgt, fällt nun in einer so auffallenden Art mit der Ostgrenze der ur-/ar-Namen zusammen, die in der Fortsetzung der Borken-grenze (sich oben) nahe der Nordseeküste durch Holstein und Schleswig nordwärts läuft (sieh die Kartenskizze in NoB. 59, 1971, S. 63), daß es kein Zufall sein kann. Waren nun diejenigen, die da in das westdänische ur-/ar-Gebiet einbrachen, Indogermanen, ihre Nachbarn im Osten aber keine, dann sind hier die Fronten vertauscht. Trotzdem kann - und wird - es so richtig sein. Auch die meisten anderen ur-/ar-Landschaften Europas sind ja indogermanisch geworden. Entscheidend ist hier, wieweit dabei das ältere Namengut der Landschaft verschont blieb. Der Nordwestblock verdankt seine ungewöhnliche Bedeutung für die Namenforschung dem nördlich der Alpen seltenen Glück, daß mindestens seit seiner Indogermanisierung kein Bevölkerungseinstrom und Sprachwechsel mit allen älteren Namen derart aufgeräumt hat, daß von ihnen nur noch schwache Spuren blieben, und in seiner südwestlichen Hälfte wurden auch schon die letzten vorindogermanischen Namenschichten weitgehend geschont, während östlich von ihm in den wilden Jahrhunderten der letzten germanischen Wanderungen, die weithin dazu führten, daß große Landschaften zeitweilig nahezu menschenleer lagen, fast das ganze ältere Namengut verloren ging. Begnügten sich die Eroberer im wesentlichen damit, sich als eine neue Herrenschicht über die ältere Bevölkerung zu setzen, dann konnte der alte Bestand an Namen auch dann zum größten Teil erhalten bleiben, wenn der Unterwerfung die Annahme der Sprache der neuen Herren folgte. So muß es im Südwesten des Nordwestblocks wenigstens zweimal geschehen sein, sowohl als er indogermanisch wie auch als er germanisch wurde, und in seinem Nordosten bei der Germanisierung. Beide Male verschont wurde offensichtlich aber auch die Bevölkerung im Westteil Dänemarks, wie beim ersten Herrschaftswechsel ja schon die Ansiedlung der Eroberer zwischen den alten Siedlungen bezeugt (sieh oben). Aber die alte Herrenklasse, welcher die Riesensteingräber dienten, wurde natürlich zerschlagen, während sie in der östlichen Landeshälfte die Macht behielt und solche Grabmäler weiter errichtete, bis dann andere Schnurkeramiker kamen und allem ein Ende machten. Dies scheint mit der rohesten Gewalt geschehn zu sein, so daß die alte Bevölkerung ausgerottet wurde oder aus dem Lande floh und auch ihre Namen untergingen. Aber in der Zwischenzeit baue sich die Grenze zwischen den beiden Landeshälften gefestigt, so daß sich an ihr nun starke Reste der älteren Namenschichten im Westen und die jüngeren Riesensteingräber im Osten gegenüberstehn. So wird die eigenartige Grenze, die da hervortrat, zu erklären sein. Die westdänischen ur-/ar-Namen bilden eine Brücke zwischen den west- (und süd-)europäischen und den nicht seltenen norwegischen. Es schließen sich ihnen in dieser Funktion aber auch einzelne weitere sehr alte und weil verbreitete Namen und Bildungsarten an, so vor allem Dubr- (Dover) und Bildungen mit einem -st-Suffix. Die ersten reichen in Norwegen bis zum bekannten Dovre-fjell und die zweiten bis zu der Insel Alsten (alt Alo,st), 300 km nördlich Drontheim. Bleibt in der Erklärung der Grenzen zwischen ur-/ar-Namen und jüngeren Riesensteingräbern in Dänemark auch manches ungesichert, so ist doch klar, daß diese schon von etwa 2000 bis 1800 vor Christus bestand, und also das ur-/ar-System spätestens damals schon da war, und es ist sehr wahrscheinlich, daß die Indogermanen da, wie längst angenommen, schon im mittleren Norddeutschland standen und auch nach Dänemark übergegriffen hatten. Außerdem warnt es uns, einseitige Namengrenzen, d. h. solche, die zwar unbestreitbar sein können, aber doch nur von der einen Seite her als solche bestimmbar sind, ohne weitere Argumente als alte Sprach- und Völkergrenzen zu nehmen. Denn es kann ja sein, daß die Zerstörung des älteren Namenbestandes auf der Gegenseite einmal an dieser Linie halt gemacht hat. (Vgl. zu diesem Fragenkreis Abh. der Mainzer Ak. 1963, S. 546 f. u. 548, = Kl. Schr. III, 257 u. 259.) Aus dem großen Mittelteil des zweiten vorchristlichen Jahrtausends weiß ich keinen zeitlichen Anhaltspunkt zu nennen, der mein Thema angeht. In das letzte Jahrtausend vor Christus fällt nach dem Zeugnis der Bodenfundc die Entstehung der Unterweser-Aller-Grenze zwischen dem schon germanischen Nordosten und dem noch nicht germanischen Nordwestblock (sieh Westf. Forsch. 12, S. 23 f. = Kl. Schr. III, 140 f.). Um 1200 sollen dann die großen Wanderungen erfolgt sein, welche die größten Teile der Illyrer, Veneter und Italiker in ihre späteren südeuropäischen Sitze brachten. Dies wird aus Kulturbewegungen geschlossen, welche die Grabungsforschung verfolgen kann. Doch kann hier in eins genommen sein, was sich durch lange Jahrhunderte hinzog. Wollen wir zum Vergleich die Schicksale der großen ostgermanischen Stämme in unserer Völkerwanderung nur mit der Hilfe der Funde rekonstruieren, dann müssen wir scheitern. Auch von der Einwanderung der Etrusker in Mittelitalien, die für mich als ein terminus post quem für die Festsetzung der Umbrer in Etrurien Bedeutung hat (sieh oben), scheinen wir mit einiger Sicherheit nur behaupten zu können, daß sie Gründung Roms (um 750) um eine Weile vorausgegangen sein muß. Die gemeinsamen Neuerungen des Lateinischen und Germanischen sind derart groß und mannigfach, und sie wirken zum Teil so jung, daß ich nicht daran glauben kann, daß die Verbindungen zwischen ihnen schon um 1200 vor Christus oder wenig später zerrissen. Ich sehe auch nichts, was zu dieser Annahme zwingen kann. Da die Römer selbst noch die im Kern germanischen Kimbern und Teutonen, die um 100 vor Christus in ihre Welt hereinbrachen, damals uneingeschränkt für Kelten hielten, so könnten unter den Galliern, die fast 300 Jahre vorher bis nach Rom gelangten, auch Germanen und Scharen aus dem namenlosen Volk des Zwischenlands gewesen sein, und von ihnen schlugen sich womöglich manche in Mittelitalien nieder und gingen in den Römern oder anderen Italikern auf. Auf eine ähnliche Weise mag in den Jahrhunderten vorher noch allerlei anderer indogermanischer Zuzug aus dem Norden in den Süden gekommen sein. Vielleicht ist es so, daß das Einströmen indogermanischen Bevölkerungsüberschusses nach Italien fast ein Dauerzustand war, der bis ans Ende unserer Völkerwanderung währte und nur in der langen Periode der starken römischen Militärmacht unterbrochen war. Da eine sorgfältige Suche noch manche Spuren westindogermanischer Mundartspaltung ans Licht bringen konnte, bin ich auch überzeugt, daß lat. fluere "fließen" sein f- statt p- sowie das lateinische Pronomen hic und das Verb habēre ihr h- statt k- einem Vorläufer der germanischen Lautverschiebung verdanken. Am Stamme hab- hatte neben den anderen italischen Sprachzweigen augenscheinlich auch das Illyrische teil. Denn die Hesych-Glosse ill. `άβεις = `έχεις bedeutet doch wohl nicht "Schlangen", sondern das viel geläufigere "du hast". Nun bleiben noch die Fragen zu erörtern, wie es mit dem letzten Indogermanischen zu Ende ging und wann und wo das geschah. In meinem ersten Aufsatz zu alledem, was mit dem Nordwestblock zu tun hat (Westf. Forsch. 12, 1959, S. 5-44), kam ich zu dem Ergebnis, daß das Germanische während des letzten Jahrtausends vor Christus lange vor der Urstromniederung von Unterweser und Aller, das damals auch eine tiefe Kulturscheide war, festgelegen hat, auf den Flügeln an der Nordseeküste und durch Thüringen und Hessen hindurch aber schon so früh gegen Westen und Südwesten durchstieß, daß Caesar um die Mitte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts sowohl in Belgien wie im Oberelsaß auf germanische Stämme oder Heere traf, während in den dazwischenliegenden Landschaften nach dem Zeugnis der Namen noch indogermanische Restmundarten gesprochen sein müssen. Diese Gebiete waren in den Augen der Römer in ihrer Zeit zwar auch schon einheitlich germanisch, doch war die Germanisierung in den Jahrzehnten der Römerkriege noch schwerlich weit gekommen. Es waren vielleicht gerade diese zerstörenden Kriege, die über die Germanisierung des Kerns der rechtsrheinischen Teile entschieden, während die Gebiete links des Rheins der allgemeinen Romanisierung zum Opfer fielen (sieh Kossack in Hackmann, Kossack, Kuhn, Völker zwischen Germanen und Kelten, S. 104). Doch haben Restmundarten des letzten Indogermanischen in den inneren und zumal den gebirgigen Landschaften rechts des Rheins vielleicht noch Jahrhunderte fortvegetiert, bis es mit ihnen ganz vorbei war. So endete dies letzte Indogermanisch nicht durch die Entwicklung neuer Untergruppen, sondern als die Beute zweier der längst mächtig und selbständig gewordenen und schon weit von ihr fortentwickelten Tochtersprachen, die aus ihr hervorgegangen waren. Nachschrift. Obwohl ich noch viele lohnende Fragen und auch manche Antwort vor mir sehe, muß ich, da ich erblindet bin, nun wohl von der Sprach- und Namenforschung abstehen. Daß ich die Abhandlung, die hier vorliegt, noch druckfertig einreichen konnte, danke ich der selbstlosen Hilfe Dietrich Hofmanns.